Montag, 24. März 2014

Wie immer von Tomja


Heute hat sich nach vielen Jahren Tomja zurück gemeldet.
Sie bat uns eine Erinnerung aufzuschreiben. 
Und das habe ich getan...
Danach habe ich geweint. Aber diese Tränen sind gute Tränen ....

Von Tomja

* Die Namen meiner Geschwister sind verändert.


Magensaft der wie Galle schmeckt. Der Tag ist angebrochen und ich fühle die Schmerzen kaum noch, da ist nur der Geschmack in meinem Mund.
Das Blut hat die Matratze verfärbt und ich werde sie nachher umdrehen, sobald Rieke aufgewacht ist. Sie schläft und ihr Gesicht sieht sehr hübsch aus, trotz der Augenränder und trotz der blauen Wange.

Auf der anderen Seite schläft Valtin, er hat sich zu einer Kugel geformt, die Arme fest um seinen kleinen Körper gepresst. Er ist nackt und man sieht seine roten und blauen Rippen und die Striemen auf seinem Rücken. Karl bewegt sich im Takt seiner eigenen Musik.

Es ist ein neuer Tag, ich versuche aufzustehen, doch ich brauche einen Moment, um gegen die Übelkeit und dieses ferne Gefühl zu kämpfen. Wo bin ich? Wer bin ich heute?
Ich sehe mich im Zimmer um und mir kommt alles so fremd vor, neben mir liegt ein Mädchen, ihre Locken sind zerzaust und sie hat noch den Daumen im Mund. Und auf der anderen Seite sitzt ein kleiner Junge, sein Körper geht vor und zurück, vor und zurück. Jetzt schaut er mich an: „Grid?“

Ich kann nicht aufstehen, noch nicht. Also krabbel ich über den Boden zu ihm. „Na du“ sage ich leise. Wer ist Grid?
Er streckt mir seine Hände entgegen. Und ich fang ihn auf. Wir sitzen gemeinsam auf den Boden und wiegen uns gemeinsam hin und her.

Und in mir ist diese Frage: Wer ist Grid?

Der andere Junge ist aufgewacht, nackt geht er zum Eimer und pinkelt hinein. „Er ist voll!“ sagt er, ich sage: „Schütte es aus dem Fenster, draußen ist es noch nicht richtig hell, da sieht es niemand!“

Der Junge schaut mich ängstlich an, dann schaut er zur Tür. „Mach du!" sagt er.
Und ich versuche aufzustehen, unter mir hat sich eine neue Blutlache gebildet. „Jetzt mach schon, ich kann noch nicht!“ fauche ich ihn an. Er verzieht das Gesicht und ich knurre wie ein Hund: „Valtin, hör ja auf zu heulen. Nimm den Scheiß Eimer und kipp ihn aus dem Fenster!“.

Wer ist Valtin?
Der kleine Junge in meinen Armen, krabbelt zur Zimmer Ecke, da legt er die Arme um sich und summend bewegt er sich wieder vor und zurück. Valtin geht zum Fenster, doch er dreht sich noch einmal um. „Sie schlafen noch!“ sage ich sanfter. Dann nickt er, öffnet das Fenster und kippt den Eimer nach draußen.

Ich muss den verfluchten Boden sauber machen, denke ich. Ich nehme das Laken von Valtins Bett. Er hat wieder ins Bett gemacht, dann ist es auch egal, denke ich. Und wische damit zwischen meine Beine und dann über den Boden. Ich muss unbedingt die Matratze umdrehen. In meinem Kopf sind andere Stimmen die zwischen meine Gedanken reden.

Wie komme ich hier raus. Ich habe Hunger. Wo ist Oma. Lass mich konstruktiv nachdenken, was ist noch mal das Verhältnis von … Wenn es wirklich Gott gibt, wo ist er? Irgendjemand singt Mendocino.

Ich halte mir die Ohren zu und fauche: „Haltet endlich die Klappe, ich muss dieses verfluchte Blut wegwischen!“ Valtin sieht mich irritiert an: „Ich sag doch gar nichts!“

Ich merke wie die Luft um mich weniger wird. Der Boden ist einigermaßen Sauber, nur die Schlieren sind da. Die wird Mutter wegwischen, später...
Ich steh auf und ein Schmerz reißt zwischen meinen Beinen, aber es blutet nicht mehr. Mir ist immer noch schlecht. Ich geh zum Fenster und ziehe die Luft ein, tief einatmen und ganz viel ausatmen. Einatmen geht, aber ausatmen wird schwer. Ich muss husten... ATMEN!!!

Valtin kommt zu mir und legt seine dünnen Arme um mich. „Ich hab dich lieb Grid“ sagt er leise. Ich sag nichts. Ich sag es nie. Sobald dieses Gefühl hoch kommt, schlag ich drauf ein. Ich hab dich nicht lieb, nein nein nein. Ich schieb ihn weg und versuche gegen die Tränen zu kämpfen, wenn ich jetzt anfange zu weinen, kann ich gar nicht mehr atmen.

„Ich bin nicht Grid“ sage ich in die Stille.

Ihn überrascht das nicht. „wer bist du dann?“ fragt er.
„Bist du Tomja?“ fragt er.
Ich bin wütend. „Zieh dir verflucht noch mal was an!“ Ich hasse es wenn er nackt vor mir steht, dieser kleine dünne Kerl. Wer ist er überhaupt?
Er verzieht den Mund, ich weiß er wird weinen.

Rieke ist aufgewacht, ihr Körper streckt sich, dann schaut sie auf die Matratze.
„Scheiße kannst du nicht aufpassen. Jetzt ist die auch noch versaut. Bald können wir auf dem Boden schlafen.“
Ich sehe sie an, meine Rieke. Sie sieht so schön aus wie sie mich wütend anfunkelt. Das erste Mal das ich lächle.

„Wir drehen sie um, ausserdem ist das nicht nur mein Blut, schau dich doch mal an!“ Sag ich.
Sie flucht, dann kommt sie mit ungelenkigen Beinen auf mich zu. „Stimmt!“ lächelt sie.

„Morgen Schwesterchen, gut geschlafen?“ Ihre Mund ist schief und eine Augenbraue ist hoch gezogen. Sie lächelt nicht mehr.

Mein Blick geht wieder zum Fenster, ich sehe die Sonne wie sie den Wald in ein wunderschönes Licht taucht. Ich sehe die Ferne und die Freiheit so nah.

Noch einmal atme ich tief ein und noch tiefer aus. Meine Brust tut weh. Ich schließe das Fenster, es wird Tag. Ich gehe einen Schritt zurück.

Ich drehe mich um und sehe in ihr Gesicht.
Ich weiß gleich geht die Tür auf und es fängt alles von vorne an.
Ich sage: „wie immer!“ und Rieke nickt.

....




Johanna und die Schreiberin

Ende

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