Dienstag, 4. März 2014

Die Schreiberin schreibt Kurzgeschichten - Gestern und Heute

Vorwort von Johanna

Es gab eine Zeit (und ich hoffe sehr, das diese Zeit auch wieder kommt), da war die Schreiberin sehr aktiv. Sie schrieb Kurzgeschichten und Romane.
Einige Kurzgeschichten handeln auch - in der Tiefe betrachtet - über unser Leben, über DIS.
Viele dieser Kurzgeschichten beinhalten intime Situationen, -es gilt wie für alles hier auf unserem Block: Triggern kann jeder einzelne Satz. Wir benutzen bewusst keine Sternchen.
Denn das ist unser Blog.
Auch ist es uns egal wer ihn liest.
Wir können nicht verhindern, das es Menschen gibt, die immer noch missbrauchen, die bewusst auf Seiten von "Vielen" gehen um sich dort ihren Kick zu holen.
Hier geht es nicht um sie, hier geht es um uns. Um jeden Einzelnen.
Aus dem Grund wollen wir nicht zensieren, denn das bedeutet wieder dem die Macht zu geben, der uns einst missbrauchte. Das Schweigen ist Vergangenheit, das Verstecken war Gestern - wir leben jetzt!

Die Geschichten die hier veröffentlicht werden handeln von uns. Die Schreiberin hat MPS in Worte gekleidet, ihr einen Sinn gegeben, sie hat sie liebevoll bedeckt. Die Symbolik unseres Lebens blieb bei all dem erhalten.
Ich wünsche viel Freude beim Lesen.
Noch eine Bitte:
Bitte beachtet das Copyright.
Ihr Schreiben, ist die einzige Art sich im Außen zu zeigen. Zeigt euch Respektvoll ihr gegenüber!
DANKE!

Eure Johanna

Gestern und Heute



Christina
Gestern sagte ich noch ich fühle mich gut. Anna nahm meine Hand und sah mir ins Gesicht. Ich sah die Erleichterung in ihren Augen. Heute sieht es wieder anders aus.
Die Wände sind ockerfarben, das weiß ich, denn ich habe die Farbe ausgesucht. Nur gerade eben sind sie grün, sie kommen immer näher, ich bin so unruhig, so ängstlich. Anna ist heute arbeiten, sie kommt erst abends wieder. Ich will sie nicht anrufen, obwohl ich weiß das ich es tun kann.
Sie sagt es mir immer wieder:
"Christina, wenn was ist, ruf an, warte nicht bis du das Gefühl hast, du drehst durch!"


Ich will nicht anrufen, ich will es schaffen, diesmal will ich es allein schaffen. Es ist wie ein Trip. Nicht nur die Wände kommen näher auch die andere Umgebung verändert sich. Sie verschiebt sich nach vorn. Außerhalb meines Blickfeldes. Ich versuche mit den Augen die Umgebung abzutasten. Ich versuche ruhig zu bleiben, ruhig einatmen, ausatmen. Dann immer das gleiche, ruhig ...
Anna hat mich mal an die Hand genommen, wir sind einen Schritt nach draußen gegangen, dann kam die Angst. Sie schnürte mir die Kehle zu. Ich habe den Boden nicht mehr gespürt, es wurde unter mir glibberig, ich hatte Angst zu fallen, tiefer, habe mich an Annas Hand fest gekrallt, habe geweint und geschrien. Anna ist dann wieder mit mir rein, jeder Schritt, jede Bewegung waren zuviel. Ich dachte ich falle in einen Abgrund, den ich nicht sehen kann, Ungewissheit.
Anna hat mich gewiegt, wie ein Kind, - ich bin klein, mein Herz ist rein -. Anna war meine Mutter, für ein paar Minuten habe ich keine Anna gesehen, da war eine Mutter die mich in den Arm nahm ... dann war wieder Anna da.


„Geht's wieder?"


Ich war Christina.
"Ja!"
Sagte ich.


Anna ist meine Rettung, mein Anker, ich will nicht darüber nachdenken, was wäre wenn es Anna nicht gäbe, sie ist da. Sie kennt mich schon sehr lange, weiß das ich nicht immer Christina bin, manchmal bin ich wer anders, jemand den ich selber nicht richtig kenne, ich bin mir dann fremd.
Ich höre Anna, aber die Stimme die ich bin, kann dann nicht antworten.
Ich weiß das ich den Mund bewege, aber ich weiß dann nicht mehr was ich sage. Anna sagt mir dann was ich gesagt habe, weil ich mich daran nicht erinnern kann.


Heute ist es schön draußen ich sehe einen Vogel, wie er auf einem Ast sitzt, ich höre seinen Gesang. Manchmal denke ich das ich ihn auch von draußen sehen kann, ich geh aus dem Haus und sehe wie dieser Vogel davon fliegt –das denke ich nur-, dabei sehe ich durch das Fenster.
Anna ist mein Auge nach Draußen, sie erzählt mir was Draußen alles passiert. Das ist so spannend, so ungeheuer interessant. Dann träume ich: ich bin dabei. Anna meint, irgendwann kann ich raus, dann ist die Angst weg. Aber ich weiß nicht ob sie Recht hat, heute ist –irgendwann- noch weit entfernt.


Eigentlich ist Anna eine Krankenschwester, sie muss nicht immer hier sein, aber sie hat mich lieb, und ich habe sie lieb, sie ist mehr als nur eine Freundin, sie ist mein Herz. Heute ist mein Herz arbeiten.
Sie geht zwei Tage ins Krankenhaus, den Rest bleibt sie bei mir. In den zwei Tagen kommt eigentlich Marie, aber ich habe ihr heute abgesagt, das weiß Anna nicht. Ich will es heute alleine schaffen.
Ich geh in die Küche, die ist weiß, aber heute ist sie gelb. Ich mache mir einen Kaffee. Alles ist verschoben. Das Regal in dem der Kaffee ist, ist viel zu hoch für meine Augen, aber es ist dort wo es immer ist, für meine Hände. Das ist sehr seltsam. Ich kann das niemanden erklären. Weil niemand es so sieht wie ich.
Im Heim hat eine Ärztin mal gesagt, dass es so ist wenn jemand LSD nimmt. Dann verschiebt sich auch alles. Ich habe das Zeug nie genommen und doch ist alles anders als normal. Die Erinnerung an die Normalität ist da. Gestern war alles normal.
Ich trinke den Kaffee, er ist heiß und gut. Ich trinke ihn ohne Milch und Zucker, schwarz und stark. Manchmal ist es als wäre ich noch ein Kind, dabei bin ich 43 Jahre alt. Anna ist schon 50, das ist so alt, so weise. Sie hat Falten rund um die Augen. Ich sehe so gern wenn sie lacht, dann muss auch ich Lachen.


Einmal da haben wir -Drinnen und Draußen- gespielt. Es hat geschneit und Anna hat von draußen Schnee mit rein gebracht, sie hat den Schnee in eine Schüssel getan. Dann habe ich darin herum gepanscht, bis es keinen Schnee mehr gab, nur noch Eiswasser.
Sie sagte das ist so, weil es hier drinnen warm ist, draußen ist es kalt, da kann der Schnee überleben. Ich fragte sie, ob der Schnee nun tot ist? Aber sie hat nur gelacht.
Dieses Spiel spielen wir zu jeder Jahreszeit. Mal ist es Schnee, mal sind es Blumen. Ich stell die Blumen in die Vase. Wenn sie verblühen, sagt Anna, hier haben sie keine Wurzeln, nur draußen können sie überleben ...
Ich trinke meinen Kaffee und schau weiter aus dem Fenster, mittlerweile ist das grün der Wände einem matten orange gewichen. Fast ocker denke ich, vielleicht wird es heute noch ocker, dann hab ich es geschafft. Wenn Anna kommt, wird sie stolz auf mich sein.

Anna
Heute bin ich arbeiten, ein Tag wie viele andere, aber meine Gedanken sind bei Christina. Ich hatte gestern das Gefühl ihr geht es besser, aber ich weiß das es Unsinn ist, ich mach mir etwas vor, wie oft noch muss ich mich immer wieder davon überzeugen, dass ich sie allein lassen kann ...
Ich bin seid 3 Jahren Christinas Pflegerin. Zuerst war sie wie jede andere Patientin, ich kam und ging. Schrieb meine Stunden ein und habe die Abrechnung quittiert. Eines Tages sah ich in ihre Augen, und da ist es passiert. Sie wurde mehr als nur irgendeine Patientin, sie wurde zu meinem Kind, meiner Geliebten, meiner Freundin. Ich habe einen Status verletzt. Ich habe in diesen Augen meine Liebe erkannt.
Ich weiß oft nicht wo mir der Kopf steht. Ich geh aus dem Haus und eine Welt eröffnet sich mir. In dieser Welt hat Christina keinen Halt. Diese Welt ist ihr fremd. Jeder Tag ist ein besonderer Tag, wenn ich Nachhause komme, dann erzähle ich die Kleinigkeiten die mir auf den Weg zur Arbeit begegnen.
Ich erzähle von den Farben und den Gerüchen, alles was uns -normale- Menschen als Gewohnheit erscheint, ist für Christina ein neuer Einblick in eine Welt die sie nicht kennt, die für sie unerreichbar ist. Ich habe durch Christina sehen gelernt.
Oft schreib ich mir die Dinge auf, neue Gerüche, Veränderungen, kleine wie große Teile, die mir früher nie aufgefallen wären. Der Bäcker hat sein Fenster neu dekoriert. Frau Bleich hat eine neue Frisur. Der Dackel von Professor Meier hat ein grünes Halsband ...
Ich schreibe diese Dinge auf, weil Christina sie nicht sehen kann. Sie bewegt sich in der Wohnung als wäre es die einzige Welt die ihr Sicherheit gibt.
Ich habe vorhin mit Marie telefoniert, sie hat mir gesagt das Christina abgesagt hat. Seid dem sitze ich wie auf Kohlen, ich mach mir Gedanken, wie es ihr geht. Aber ich rufe nicht an, ich denke wenn es ihr schlecht geht, ruft sie mich an, sie weiß, dass sie jederzeit anrufen kann. Ich muss Vertrauen zu ihr haben.
Marie war erschrocken, sie wusste nicht was sie tun sollte.
"Soll ich doch hinfahren, Anna? Ich glaube nicht dass das gut geht."


Ich habe es verneint, ich sagte zu ihr:
"Christina ist kein Kind, wir müssen ihr vertrauen!"
Ihr zweifelndes:
"Hm"
Konnte an meiner Entscheidung nichts ändern.


Ich weiß das ihre Krankheit nicht kontrollierbar ist, jeder Tag ist ein neuer Tag mit guten wie auch schlechten Ausgang. Aber ich weiß auch, das es um so schlimmer wird, wenn Christina nicht entscheiden kann, wenn man ihr die Entscheidungen abnimmt. Sie ist kein Kind, und ihre Normalität ist nicht meine, aber sie kann für sich das Beste aus ihrer Situation machen, wenn man sie lässt.
Diese Erkenntnis kam sehr spät. Sie hat zuerst in einem Heim für Geistigbehinderte Menschen gelebt. Dort ist ihr Zustand immer schlimmer geworden, dann kam eine Psychiaterin auf den Gedanken sie zu fragen, was sie will.
Nun Chris sagte: " ich will in meine Wohnung, da geht es mir gut"


Dann begann der Kampf um die Vormundschaft. Herta, die Psychiaterin hat gewonnen. Christina konnte zurück in ihre Wohnung, dort wird sie dann stundenweise betreut.
Das ist jetzt drei Jahre her, da ich in einer Pflegeabteilung für Geistigbehinderte Menschen gearbeitet hatte, habe ich mich auf die Anzeige gemeldet, ich wurde angenommen. Ich wohne mit Christina in der drei Zimmer Wohnung und bekomme mein Gehalt als Pflegerin.
Zwei Tage die Woche arbeite ich noch im Krankenhaus. Das wollte ich so, denn die Abteilung ist mir in den letzten Jahren ans Herz gewachsen. Ich kenne die Patienten und das Pflegepersonal. Das ich eines Tages mit einer Schizophrenen Frau leben würde, ist mir nie in den Sinn gekommen und das ich diese auch noch lieben würde ,Himmel, an so etwas habe ich nie gedacht. Christina ist zu meinem ständigen Begleiter geworden, und ich möchte ihre Art zu leben nie wieder missen. Ich liebe sie mit einer Selbstverständlichkeit wie eine Mutter ihr Kind liebt.
Ich begehre sie als Frau, und ich lebe mit ihr wie mit einem Partner ... Ein Blick auf die Uhr sagt mir, das es Zeit ist mich umzuziehen.
Ich geh den Gang mit den einzelnen Zimmern entlang, höre leises wimmern, lautes lachen. Durch einen Schlitz kann man in das jeweilige Zimmer sehen. Ich bin froh das Christina nicht hier ist.



Johanna:
Bitte hier das Copyright beachten. Die Geschichten dürfen nur nach ausdrücklicher Genehmigung kopiert oder/und vervielfältigt werden.

© Johanna Schlitzkus/Die Schreiberin

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