Samstag, 22. März 2014

Johannas Geschichte

In Gedanken an Tattoo

Ich wachte auf mit getrocknetem Salz auf meiner Haut
Der Tod hat etwas so Entgültiges.

Ich fühle mich sehr krank heute Morgen. Draußen sind gerade die Vögel erwacht und ihr Gesang ist so schön, dass es mir wieder die Tränen in die Augen treibt. 
Wie jedesmal mal, wenn jemand stirbt, ist unser System wie erstarrt, es kann Stunden oder Tage  dauern, bis Jo wieder spricht. Und diese Sprachlosigkeit fühlt sich so alleine in mir an. 
Jeder trauert anders. Heute Nacht hatte ich viele Stimmen in mir und jemand sang leise und diese Stimme nahm ich mit in meine Träume.

Es war die Stimme eines Jungen der in mir sang.
Ich habe ganz intensiv darauf geachtet, ob ich den Text des Liedes verstehen konnte und ich war überrascht als ich begriff, es ist wieder einmal eine Sprache die ich nicht kannte.

Den Text habe ich mir auch nicht merken können, aber er hat mich eingelullt, mich zart zugedeckt.
Dann hat eine meiner Katzen geschrien und ich bin mit Herzklopfen erwacht.

Der Tod ist mir nicht fremd, er begleitet uns schon so lange.
Manchmal versuche ich ihn mir als älteren Herrn vorzustellen, mit einem grauen Anzug und einem altmodischen Schnurrbart. Wie er da vor meiner Tür steht, einen Hut in seiner einen Hand und einen Gehstock in der anderen. Alte wissende Augen in seinem Gesicht. Und ich denke dann: Draußen ist es so ungemütlich, kommt doch rein, setz dich zu mir und dann lass uns eine Tasse Kaffee trinken. 
Lass uns reden über alte Zeiten.

Ich weiß nicht wieviel Tiere ich in meinem Leben beerdigt habe, aber ich erinnere mich an mein erstes Tier, das ich begleitet habe.
Einen Hund den ich nahe der Bundesstraße im Gebüsch fand. Er lebte noch, war aber sehr schwer verletzt. 

Ich habe vor 2 Jahren versucht Leid in Worte zu fassen, daraus ist eine Geschichte geworden, Johannas Geschichte - meine Geschichte. Vor zwei Jahren war es mir noch nicht möglich zu akzeptieren, dass ich Multiple bin. Doch die Gedanken die ich damals hatte, über das Leid dieser Welt, tragen mich auch heute noch.

Leid kommt und vergeht.

Meine Art Leid zu verstehen:

Als ich ungefähr 6 Jahre alt war, starb ein Hund in meinen Armen. Er sah mich nur an, ohne einen Laut von sich zu geben. Meine Schwester die bei mir war, meinte: "Du Grid, vielleicht hat der Hund ja gar keine Schmerzen."
Ich sagte daraufhin: " Solange er mir nicht zeigt, das er keine Schmerzen hat, werde ich ihn so behandeln als hätte er welche." Das meine ich mit Leid ist allgegenwärtig.
Mein Leid, das ich damals hatte als ich diesen Hund begleitet habe, wie sein Leid, das ich nur annahm. Er starb jedoch in meinen Armen, auch das ist Leid.

Ich glaube, dass es die absolute Wahrheit aller Dinge nicht gibt. Wir gehen davon aus, weil wir Erfahrungen gemacht haben, und im Dauerzustand der Erfahrung sind, ist das was wir erleben, die absolute Realität. Wir erleben die Welt mit unseren Augen, auch wenn wir behaupten, sie in den Augen eines Anderen zu sehen, wahrzunehmen.

Damals hatte ich einen anderen Namen, ich lebte anders. Ich habe Hunger und Durst erlebt, das nagende Gefühl das sich zuerst zeigt, dann das Verlangen nach Speise und Trank. Und dann den tiefen Schmerz, wenn sich die Eingeweide zusammen ziehen, der Geschmack des eigenen Speichels wenn dieser langsam versiegt.
Ich habe einen Mord überlebt, da war ich 9 Jahre alt. Mit 12 und 14 habe ich versucht mir das Leben zu nehmen. Und später habe ich versucht durch Drogen dem Leid mit Leere zu begegnen. 

Es war nicht nur der Hund der damals gestorben ist, es gab viele Menschen und Tiere die mir im Leid begegnet sind. Loslassen war daher nie eine Frage, es war notwendig um nicht am Leid der anderen wie meinem eigenen zu zerbrechen.
Ja es war ein ganz persönlicher Krieg, der immer noch Wunden trägt, die Narben wurden.
Mit 4 Jahren wurde ich das erste mal vergewaltigt.
Mit etwa 9 Jahren gab es viele die es taten, es waren Männer und Frauen, sie alle kamen aus dem Leid, welches sie an mich weitergaben.
Ich habe erleben müssen, wie Kinder sich am eigenen Blut erbrachen, wie sie sich zusammen kauerten um sich zu wärmen, in dunkelsten Zeiten wurde irgendwie ein Licht entzündet, weil wir nicht alleine waren.

Da wurden Messer gewetzt und Pistolen gesäubert und Menschen die uns hassten, weil sie keine Liebe empfinden wollten, denn das wiederum hätte Mitgefühl ausgelöst für uns Kinder. In all dieser Zeit habe ich Mitgefühl empfunden für alle in den Räumen und alle in den Betten, die aus Matratzen bestanden.
Es war egal wer neben mir lag, oder in mir.
Ich war wie ein Alien weil ich nicht hassen konnte, ich vermittelte so gut es ging, manchmal hatte ich Glück und die Strafen waren milder. Manchmal sah ich sogar wohlwollen in den Augen. Doch manchmal da brachen einfach Schleusen auf und Hände wurden zu Krallen, Münder zu Mäulern mit großen Zähnen die mich und die Kinder kratzen und bissen. Als Kind hat man wenig Chancen dem zu entgehen.
Als ich sterben sollte war ich noch ein Baby, und dann später war ich 9 Jahre alt. Das Leid kam mit Händen die sich um meine Kehle legten und so lange zudrückten bis ich ohnmächtig wurde. Mein lebloser Körper wurde dann aus dem Fenster geworden wie ein Kirschkern, oder ein alter maroder Apfel.
Das ich überlebte verdankte ich dem Mitleid einer alten Dame im Nachbarhaus.

Leid hat viele Gesichter, wir tagen sie in uns - wenn ich sage wir, dann meine ich mich und die Kinder die ich einst kannte, die Tiere die mir begegneten, die Menschen die mich begleiteten,  - die Stimmen die in mir sind.
 
Als ich erwachsen wurde, starben Menschen aus meinen Leben. Ich hatte das Glück eine Frau bis zuletzt zu begleiten, sie sprang von einem Hochhaus in dem ich lebte, sie starb in meinen Armen und wieder war es so wie damals bei dem Hund. Die Sanitäter kamen und sagten: "Da ist nix mehr zu machen!" und ich sagte: "Solange ich ihre Seele fühle bleib ich hier sitzen!" Sie mussten warten.

Im Buddhismus gibt es keine Seele, doch ICH weiß das es die Seele gibt - ich nenne sie Seele, weil ich keinen anderen Namen dafür habe. Ich sehe die Seele gehen, und was zurückbleibt hat mit dem Menschen im Leben, nichts mehr gemein. Es ist wie ein Hauch einer letzten Antwort.
Als ich etwa 11 oder 12 Jahre alt war, half ich einer Frau bei einer Abtreibung, ich tat es nicht freiwillig, ich musste ihr helfen, denn damals hatte ich keine Entscheidungsmöglichkeit.
Ich hielt die Stricknadel und tötete ihr Baby. Ich vergrub es im Garten, wusch mir die Hände im Bach und während ich dort stand, zerbrach etwas in mir.

Mit 19 war ich das erste Mal schwanger, ich habe das Baby verloren. Mit 25 das zweite Mal, auch diesmal verlor ich es.
Ein paar Jahre später wurde ich erneut schwanger, ich fühlte meine Tochter heranwachsen und ich fing an sie mit meinem ganzen Herzen willkommen zu heißen in dieser Welt. Im 5 Monat der Schwangerschaft hatte ich eine Totgeburt, sicherlich könnte man es auch anders nennen, doch für mich existiert Leben sobald sich der Fötus einnistet, das Herz anfängt zu schlagen..
Ich hatte Wehen, doch anstatt den Krankenwagen zu rufen, ging ich ins Bad und gebar mein totes Kind in der Toilette: " Aus dem Wasser kommst du und du zurück darfst du gehen!"
Ich sagte es während ich die Toilettenspühlung betätigte. An dem Blutverlust wäre ich beinahe gestorben. Aber ich habe wieder das Leid überwunden.

Der tot macht mir keine Angst, er ist immer da, steht neben mir, während ich diese Zeilen schreibe. Und wenn ich vergehe, dann gibt es nur einen Wunsch in mir, möge meine Familie die Trauer überwinden und neu anfangen.

Mit 20 habe ich das erste Mal eine Therapie gemacht, ich tat es, weil ich mit dem Wissen, das meiner kleinen Schwester das gleiche passiert wie mir, nicht leben konnte.
Damals sagte die Therapeutin zu mir: "Sie müssen an sich denken!" Und ich sah sie an und fragte zurück: 
"aber wer denkt dann an die anderen?"
Ich verstand sie nicht.
Ich lernte mit 17 einen Mann aus gutem Hause kennen, er war gebildet und öffnete mir eine Welt, die ich bis dahin nicht kannte. Ich konnte reisen und andere Kulturen kennen lernen. Ich hatte Materielle Güter, Schmuck und Designer Kleidung.
Er wurde sehr krank, zuerst war er Blind, dann versagten die Muskeln seiner Beine, zuletzt brauchte er einen Rollstuhl.
Ich pflegte ihn 14 Jahre lang. Ich war immer schon lesbisch, ich wusste es bereits mit 9 Jahren, weil ich die Frauen die mich misshandelten und missbrauchten wesentlich angenehmer fand als die Männer - auch wenn ich an der Intensität der Gewalt keinen Unterschied feststellen konnte. So war es ihr Geruch, die Zartheit ihrer Haut. 

Die Jahre mit meinem Mann waren geprägt durch Enthaltsamkeit, Angst und Verzicht. Als ich 30 Jahre alt wurde, wurde mir bewusst, das ich nichts mehr bin, als den Fußabdruck den ich hinterlasse wenn ich über Sand gehe - ich bin vergänglich. Die Zeit die mir blieb wollte ich leben lernen, lieben lernen und mit vollem Bewusstsein mein ICH erkennen.
Doch ich konnte ihn nicht so einfach verlassen, er hatte mein Mitgefühl und meine Liebe. Also schmiedete ich einen Plan. Wir kauften eine Eigentumswohnung, die ganz nach seinem Bedürfnissen ausgestattet war. Ich zeichnete den Bauplan der Wohnung selbst, ich wollte damit verhindern, dass mein Plan an Nichtigkeiten scheiterte.
Als die Wohnung fertigestellt wurde, zog ich in das dritte Zimmer, welches ich für seine Pflegerin geplant hatte. Ich hatte Affären mit Frauen, die mich nicht lieben. Und ich hatte Sex ohne einen Höhepunkt zu wollen. Ich wollte IHN aufheben, für die Liebe meines Lebens, von der ich wusste, dass sie kommen wird.
Ich wusste es immer, tief in mir. Um die 26 malte ich ein Bild, welches ich Enigma nannte, und mit 32 Jahren stand die Frau vor mir, sie ist heute meine Lebenspartnerin.

Ich verließ meinen Mann, mit 31 Jahren, so wie ich ihn kennen gelernt hatte. Mit nur wenig ersparten und ein paar Möbeln. Ich unterschrieb eine Verzichtserklärung. Ich wusste er wird all sein Kapital brauchen. Er fand eine neue Pflegerin, die er ein Jahr nach unserer Scheidung heiratete. Ich wollte nur eines mitnehmen, einen kleinen Kater, dem mein Herz gehörte.

Er starb am 24 Dezember, er wurde von einem Zug erfasst, so erzählte es mir der anonyme Anrufer am 1 Weihnachtsabend.

Ich habe viele gehen und kommen sehen, Menschen und Tiere kreuzen meinen Weg. Tinker-Bell mein kleiner Kater war nur einer von vielen und doch hat sein Verschwinden erneut mein Herz brechen lassen.
Oft habe ich mir die Frage gestellt woher meine Hoffnung und Liebe für all die Wesen kommt die mir begegnet sind und immer wieder begegnen.
Anfangs habe ich es versucht mit Religionen zu erklären, ich las mit 12 Jahren das alte Testament, wenige Jahre später den Talmut, den Koran. Ich las mich durch die Edda und irgendwann auch durch hinduistische Schriften. Was ich fand war keine Erklärung, es waren Thesen, es waren Konstrukte. Ich las über Philosophien, hielt mich an der Naturwissenschaft eine Weile fest. Dann lernte ich meine Frau kennen und lieben und ich erlebte das erste Mal in meinem Leben - das mich ein Mensch in meinem Sein und Denken stehen lies.

Sie ist viel langsamer als ich, aber das sind die meisten Menschen. Während ich schreibe gehen meine Gedanken und Gefühle auf Wanderschaft. Wenn ich rede, dann handel ich in kürzester Zeit Themen ab, während mein Gegenüber noch überlegt was ich damit sagen will, bin ich schon wieder ganz woanders und doch bei ihm.
Während meiner Kindheit hatte ich den Namen Hexe erhalten, weil ich Gedanken anderer Menschen lesen konnte, ich konnte Dinge wieder finden, die andere verloren und ich konnte Situationen einschätzen, und mich selbst manchmal vor Gewalt schützen.
Hexe war so ein negativer Begriff für ein kleines Mädchen. Als ich Erwachsen wurde, versuchte ich diese Gabe tief zu vergraben, ich wollte so gerne dazu gehören zu dem Menschen die ich liebte. Aber je mehr ich wollte, desto mehr entfernten sich die Menschen. Ich lernte zu lieben, ohne auf Gegenliebe zu hoffen. Als ich meine Frau kennen lernte, wurde der Begriff Hexe wieder in mein Gedächtnis gerufen. Es passierten viele Dinge dich voraus sah, während meine Frau anwesend war.

Wenn ich etwas sehe, dann erscheint es mir nicht wie im wahren Leben, ich sehe es als Beobacherin, ohne zu wissen wo ich bin.
So sah ich den tödlichen Unfall einer Freundin, ich sah den Selbstmordversuch meiner Mutter, ich sah den Selbstmord eines Freundes und den Selbstmord des Vaters einer Freundin voraus.
Diese Sicht der Dinge ermöglicht mir NICHTS, ich kann nicht eingreifen oder verändern, ich sehe es und lebe damit.
Durch  meine Frau kam ich unbewusst zum Buddhismus. Ich lernte zu lieben, einen Menschen so gänzlich anzunehmen. Die liebe die ich bisher für alle Menschen und Tiere erlebt hatte, war dennoch da, aber ich konnte mich selbst sehen in den Augen meiner Frau - ich sah mich selbst, während ich in ihren Armen lag, mich selbst wenn sie mir sagte das sie mich liebte.

Das erste Mal in meinem Leben sah ich MICH. Sie spiegelte mir das was ich war, auch ohne viele Worte. Sie spiegelte mir liebe und achtsamkeit, verantwortung und sein lassen. Diese Liebe fühle ich nun seit 14 Jahren, durch sie habe ich angefangen mich selbst zu lieben, mir selbst wichtig zu sein.
Ich habe durch sie mein ICH gefunden.
Während unserer Beziehung gab es oft Momente, da wäre ein anderer Partner eifersüchtig geworden, ich liebe intensiv, ich liebe immer und überall. Britta sah diese Intensität meiner Gefühle und konnte sie stehen lassen. Sexualität spielt für mich nur eine untergeordnete Rolle.
Wir erlebten sie sehr intensiv während unserer ersten Jahre. Dann wurde ich Krank.

Während eines Asthma Anfalls erlitt ich einen Körperlichen Zusammenbruch, ich konnte weder laufen noch reden. Mein Körper gab den Geist auf, während meine Psyche auf Hochtouren lief.
Die Ärzte fanden eine Menge merkwürdiger Erklärungen, so hatte ich Yersinien im Blut, die Erreger der Pest. Meine Wirbelsäule ist die einer 80 Jährigen Frau. Mein Gehirn wies ungewöhnliche Anomalien auf. All das war ein Rätsel und so kam ich von einer Klinik in die Nächste.
Und immer wieder kamen Professoren um mein Krankenblatt zu studieren. Es wurden Diagnosen gestellt und wieder verworfen. Innerhalb kürzester Zeit wurde ich mit Aids, Gehirntumor und Infarkt konfrontiert. Man wetzte Bücher und diskutierte vor meinem Bett, während meine eigene Welt immer kleiner und kleiner wurde.

Meine Frau wurde sehr leise in dieser Zeit, wir hielten an den Händen und schwiegen. Die Schmerzen kamen und gingen und während einer besonders schmerzvollen Zeit lag ich im Bett und atmete einfach nur ein und aus, ohne auf meine Gedanken zu achten, ich atmete in den Schmerz und atmete aus dem Schmerz heraus. Und auf einmal geschah etwas merkwürdiges, ich sah eine weiße Wand vor mir, sie breitete sich immer weiter und weiter aus, so dass es in meinem Kopf nur dieses Weis gab und nichts anderes.
Dann fühlte ich ein starkes Kribbeln über meinen Körper laufen, das Kribbeln blieb in den Händen und Füßen und von dort verbreitete es sich in dem Krankenzimmer in dem lag.
Es floß aus mir hinaus und wieder hinein.
Ich verstand es damals nicht, aber ich ließ es fließen und fließen. Es war wundervoll, dass Licht in mir zu fühlen, es erstrahle den ganze Raum in ein herrliches Weis.

Ich habe es nie hinterfragt, nicht gefragt woher es kam und wohin es wieder ging.
Irgendwann wurde das Kribbeln schwächer und irgendwann verschwand auch das Licht. Und mir ging es von Tag zu Tag besser. Ich wurde nicht gesund, das bin ich auch heute noch nicht. Aber ich kann seit dem mit meiner Krankheit leben.

... hier schließe ich so langsam, weil ich sowieso schon viel zu viel geschrieben habe.

Es gibt kein Fazit, ich erlebe Leid als Allgegenwärtig, jeden Tag aufs Neue und das seit Anbeginn meines Lebens. Manchmal sind es nur kurze Momente, gestern als ich wieder einmal unachtsam war, ich gab meinen Hühnern futter und diesmal sah ich nicht auf den Boden auf dem ich lief, ich zertrat eine Schnecke. Vor einem Monat ist mir das auch passiert, da dachte ich noch, wenn ich ihr ein neues Haus suche, dann hat sie vielleicht eine Chance zu überleben. Ich fand ein Haus und legte es sachte neben die Schnecke, ich saß eine Stunde bei ihr, aber sie war schon nach Minuten nicht mehr am Leben. Ich saß dort neben der Schnecke und heulte solange bis ich keine Tränen mehr hatte. Ich war alleine, meine Frau war arbeiten und meine Tochter im Kindergarten, ich konnte mir diese Trauer gewähren.
Seit dem weiß ich, das kein Haus dieser Welt einer Schnecken die zertreten wurde, helfen kann. Ich lebe damit.

Bei all dem was mir widerfahren ist, fühle ich liebe in mir. Glück. Ich musste erst begreifen was dieses Glück ist und wie es sich anfühlt. Früher war Glück schwarze Farbe. Heute hat es die Farben aller Regenbogen in sich vereint.
Ich bin ein Synästhetiker, ich denke in Farben.
Laut einer Therapeutin habe ich eine Inselbegabung, weil ich innerhalb nur kurzer Zeit Texte verfassen  kann. Und weil ich divergent denke, mehrgleisig. Ich kann mich sehr intensiv einem Thema witmen, dann tue ich nichts anderes, manchmal Stundenlang, doch oft auch Tage lang. Ich vergesse alles um mich herum, ich versinke in das was ich tue.
Eine Therapeutin meinte ich hätte das Asperger Syndrom, weil ich manchmal nicht erkenne, dass ich Menschen mit meinem Sein überfordere.Weil ich manchmal nicht erkenne, was andere Menschen von mir wollen. Ich höre ihre Stimme, ich sehe ihr Gesicht, aber manchmal schaffe ich es nicht, beides miteinander zu verbinden.

Ein Therapeut meinte, ich hätte eine Multiple Persönlichkeitsstörung, weil ich mehr als nur einen Gedanken habe und mich selbst manchmal in der dritten Person anspreche (du denkst, du hast...), die Stimmen haben sich irgendwann Namen gegeben und leben neben mir und in mir und manchmal wechseln wir uns ab.
Ein Therapeut meinte, ich sei als Kind autistisch gewesen, weil es eine Zeit gab, in der ich nicht sprach.
Eine Therapeutn sagte, ich kann mich selbst heilen, meine Kindheit, meine Schmerzen, mein Sein.
Es gibt so viele Vermutungen, so viele Diagnosen, das ich sie im Laufe meines Lebens vergessen habe.
Ich habe oft erleben müssen, wie Schubladen geöffnet wurden und wieder geschlossen.

Ich weiß es nicht, ich weiß nicht wer oder was ich bin.
Ich habe dafür keinen richtigen Namen, ich nenne das was in mir ist: "Die Gabe"

Am 4 September 2001 hatte ich eine Vision, ich sah zwei Flugkörper in zwei Türme stürzen. Ich sah Menschen die aus den Türmen sprangen und vor mir auf dem Boden prallten. Ich sah Feuer aus dem Türmen lodern. Ich fühlte nichts.
Es war der Tag meines Geburstages, an diesem Tag sprach ich das erste Mal öffentlich über meine Vision vor meinen Bekannten und Freunden. Sie alle sind stumme Zeugen eines Wahrheitstraums
Mir ging es sehr schlecht, weil ich nicht wusste wo dieses Unglück stattfinden wird.

Am 11 September geschah es dann.
Meine Frau bat mich Händeringend nicht darüber öffentlich zu reden, sie hatte Angst um mich...
Aber meine Freunde und Bekannten sprachen darüber, immer wieder. Sie wollten Antworten die ich ihnen nicht geben kann.

All das bin ich, damit lebe ich. Ich lebe seit meiner Kindheit damit und ich weiß nicht warum. Ich sehe Menschen und Tiere sterben und ich fühle ihren Tot, ich fühle den Schmerz und ich fühle mich wie sie.
Es gibt keine Trennung - auch eine Wahrheit die ich weiß. Die Trennung ist eine große Illusion.
Ich erlebe es hier wie dort. überall wo ich bin.
Ich bin eine Spiegelträgerin, das sagte mir einmal ein junges Mädchen.
Damit kann ich mich einigermaßen identifizieren. Es spiegelt mir das Leben, und ich spiegel es zurück.

Das ist vielleicht der Grund warum ich hier bin, der wahre Grund. Der Buddhismus gibt mir die Möglichkeit zu erklären warum es mich gibt und warum ich Leid so intensiv erfahren muss und dennoch Glück erlebe. Kausalität, das ist etwas das für mich nicht nur ein Wort bedeutet, es ist ein Teil der Erklärung meines Seins.
Alles darf Sein, auch solche Monströsitäten wie ich.
Sie haben ihre Berechtigung in diesem Leben.
Ich war immer auf der Suche nach einem Ebenbild, jemanden der so ist wie ich, damit ich nicht mehr so alleine bin.
Ich habe eine wundervolle Familie die diese Seiten in mir kennt und sie schützen möchte und sein lassen kann. Aber ich habe niemanden an meiner Seite der versteht, was ich verstehe.
Manchmal verstricke ich mich, weil ich so gerne etwas bewusst machen möchte, was schon längst sichtbar ist.
Dann werde ich anmaßend und impulsiv. Und bei all dem weiß ich das auch noch.

Es geht mir dann sehr nahe. Ich will nicht verletzen und doch tu ich es.
Immer wieder. Alleine wenn ich nicht auf den Boden sehe wenn ich laufe und dabei weiß, es sterben zig Tiere nur weil sie unter meinen Füßen landen. Es gibt vieles was ich noch schreiben könnte... Romane in den Romanen, über Menschen die meinen Weg kreuzten und wieder gingen. Über die Kinder von damals und die Kinder die sie bekamen. All die Schicksale sie haben ihren Platz in meinem Herzen.

Ich könnte über meine Stimmen schreiben, die Namen haben.
Und dann fühle ich, wie ich jung werde und die Lust am Leben lässt mich Tanzen. Dieser Anteil nennt sich in mir Jo. Ein junges Mädchen mit dem wissen einer alten Frau.

Doch ich weiß nicht warum, ich kann noch nicht so offen darüber reden.

Mein Roman den ich jetzt geendet habe, handelt von meinem Leben. Auf vielen Seiten habe ich versucht so konzentriert wie es mir möglich war, das wieder zu geben, was ich erlebt habe.
Dort ist Hass zu finden und Liebe und vieles mehr. Manches lässt sich nur schwer in Sprache übersetzen, es sind nur gefühlte Erinnerungen ...

Irgenwann werde ich ihn veröffentlichen - das jedoch war nicht meine Intension als ich ihn schrieb, ich schrieb ihn für meine Tochter, damit sie eines Tages darin lesen kann, wenn ich nicht mehr bin.

Alles liebe von Johanna






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