Mittwoch, 26. März 2014

Kontrollverlust



Vorwort:

Im Februar 2001 brach Jo zusammen. Eigentlich war es ein ganz normaler Tag mit Freunden. Wir sprachen damals über meine vergangene Beziehung zu meinem Ex-Mann, ein ganz normales Gespräch, da machte es Klick.
Ein Klick das unser bis dahin einigermaßen kontrolliertes Leben veränderte.

Eine Freundin war der Meinung, das auch mein Ex-Mann mich missbraucht hat. Dann kam ein Flashback und Jo ging ins Innen. Die Schreiberin hat die ganze Situation dokumentiert, ich selbst Johanna, war damals nicht anwesend.

Diese Zeilen habe ich erst viel später gelesen. Jo war mit der ganzen Situation überfordert. Sie wollte nicht wahrhaben, das wir über viele Jahre missbraucht wurden, auch dann noch als wir erwachsen wurden. Für sie brach eine Welt zusammen, als ihr bewusst wurde, das es wirklich erst aufgehört hatte, als wir unsere Frau kennen lernten. Sie hat uns aus dem Sog der Gewalt herausgeholfen.

Sich das einzugestehen, fällt Jo immer noch schwer...


Die Schreiberin dokumentiert was am 27.2 und am 28.2 2001 passierte:

Ich Jo habe die Kontrolle verloren, die Schreiberin kann nur das schreiben, was die andern fühlen.
Absolutes Chaos:
Ich weiß nicht mehr was los ist, zuerst haben alle durcheinander geredet, das Für und Wider abgewogen, dann ist Jo einfach durchgeknallt, sie fing an zu weinen, und sie weint immer noch.
Ich versuche hier ein wenig Ordnung rein zu bekommen, aber ich habe das Gefühl es rinnt mir durch die Finger. Jo redet nicht mehr, sie hat sich in sich verzogen, ich versteh es nicht. Sonst habe ich sie immer gehört. Nun ist sie still.
Sie ist wie Grid.
Ich weiß nicht ob ich diese Zeilen in mein Tagebuch einbinde, ich muss einfach nur schreiben, damit ich nicht vergesse.
Britta versucht mit mir Kontakt aufzunehmen, sie hat noch nicht verstanden dass ich nicht reden kann, sie versucht mich zu umarmen, sie versucht mich zu halten, aber sie ist bei der falschen. Ich bin nur die Beobachterin, die Schreiberin, ich kann nicht Jo sein.

Ich weiß nicht was passiert ist, ich weiß nur die Dinge die sie mir als Einblick gewährt hat.
Die Gespräche mit den Freundinnen, und natürlich mit Britta. Sie wusste es doch immer, sie hat nichts neues erfahren, warum macht sie jetzt so ein aufheben um die Sache. Bisher ist doch alles ganz super verlaufen, sie hat ganz normal unter Vielen gelebt, nun ist aber alles zusammengebrochen, ich weiß nicht ob sie noch mal kommt, ich hoffe es, ich brauch sie, sie geht nach außen, kann reden, ich kann das nicht, ich schreibe nur.
Ich kann noch nicht mal Einfluss nehmen. Ich bin da, sie lebt.
Es gab keinen Grund, es ist einfach so passiert, vielleicht hatte es die eine Freundin ausgelöst, wei sie der Meinung war, das Jo´s Ex auch Jo missbraucht hat, sie meinte nur das sich alles ändern wird, das hat Jo zum Nachdenken gebracht, sie hat dann einen Panikanfall bekommen, dann hat sie mit Britta gesprochen.
Erinnerungen kamen, brannten sich in uns fest. Da gab es so viele Übereinstimmungen. Wir alle Erleben immer noch, das was vor langer Zeit passiert ist. Und die heile Welt die wir uns aufbauen, die stürzt nun ein.
Weil auf einmal bewusst wird, das es da noch mehr gab.
Yensaya die Geld für Sex genommen hat.
Oder Johanna die weit weg ist und nur da ist, wenn die Freundin kommt, die Jo nicht mag.
Da ist so viel, was wir alle wissen und das für Jo ganz neu ist.
So viel was wir sagen wollen und was uns schweigen lässt.
Wir können nicht darüber reden, weil unser Münder zu sind und unsere Augen blind und unsere Hände verbunden. Unser Blut wie Wasser ist, das sich aus einem Brunnen ins unendliche ergießt.
Wenn Jo reden könnte, würde sie unglaubliche Sachen erzählen die niemand glauben wird.
Ich weiß nicht seid wann sie nicht mehr da ist, ich weiß nur das sie momentan keine Kontrolle hat. Sie überlässt alles mir. Aber ich kann nicht so handeln wie ich gerne will.
Ich spüre ihre Gedanken, sie geht den gestrigen Tag noch einmal durch:

Britta ist da, sie kommt und ich spüre ihre Anwesenheit, sie liest schweigend mit, lässt mich aber in Ruhe.
Gestern sagte sie: "Stell dir vor da gibt es viele Personen sie tragen Schilder, alle halten die Schilder nach oben und zusammen ergeben sie dein Gesicht!"
Sie sagt, ich soll die Personen annehmen, sie gehören zu mir. Aber sie sind so anders als ich... ich kann das nicht."

Ich überlege ob ich diese Blätter auch mitnehme zur Therapeutin.
Ja werde ich wohl, vielleicht bringt sie wieder alles in Ordnung.
Was soll ich mich nur verständlich machen, wenn ich nicht reden kann... ?


Meine Therapeutin hat nicht alles in Ordnung gebracht. Sie sagte damals: Reden sie mit niemanden darüber, sie wollen doch nicht in der Psychiatrie landen. Über MPS wollte sie nicht sprechen, weil sie der Meinung war, das Jo keine Multiple Störung (wie sie sich ausdrückte) haben würde.

Erst viele Jahre später haben wir angefangen uns mit dem Multiple sein, dem Viele-Sein in uns auseinander zu setzten. Die Schreiberin hat all die Jahre in unserem Tagebuch festgehalten. Es waren keine einfachen Jahre. Jo musste lernen, in einem Körper zu leben der altert, während ihr Körper im Innen immer der einer 17 Jährigen ist. Und sie musste Entbehrungen verkraften, eine war, dass unsere damalige beste Freundin Jo ablehnte, weil sie ihr anstrengend und zu kindlich erschien.

Das ist jetzt 13 Jahre her, mittlerweile wechseln Jo und ich uns im Außen ab. Menschen begegnen uns beiden und wenn einer von uns abgelehnt wird, beenden wir die Bekanntschaft oder Freundschaft.

Wir leben alle unser Leben und doch
haben wir nur dieses Eine.


Alles liebe von Johanna

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