Dienstag, 18. März 2014

Aufwachen


Ich laufe über meine Haut
Fühle kleine Knochen
Große Knochen
Fühle mein Fleisch unter meinen Füßen
Fühle Sehnen
Verstecke mich hinter meinen Muskeln
Atme tief in mein Fettdepot
Lache in Kitzelfalten
Und streichle über zarte Härchen

Ich bin aufgewacht.
Jo 2014



Wenn ich aufwache, bin ich erst mal desorientiert, ich muss mich sammeln, meinen Körper strecken.
Eintauchen in die Geräusche und meine Katzen von mir schubsen, damit ich erst mal alleine bin mit mir.
Oft fühle ich diese Traurigkeit nahen, sie bleibt nie lange. Aber sie setzt sich gerne auf meine Brust. Auch sie schubs ich runter. Das erste was ich fühle sind die Schmerzen in meinem Rücken. Dieses mittlerweile alte Pochen und Reißen. Meine Schmerzen zeigen mir meine Bewegungsgrenzen. Ein Stück in diese Richtung und ein Stück in die Andere und dann STOPP. Wenn ich jetzt weiter gehe, weiß ich, ich werde erst mal  nicht aufstehen können.

Nachdem ich mich gefühlt habe, steh ich auf um auf Toilette zu gehen und meist folgen mir zwischen 4 und 15 Katzen. Manchmal schaffe ich es die Tür zu schließen, ohne das eine Katze mich zum Klo begleitet, manchmal hockt eine in der Dusche während ich Pinkle oder meine Gedärme entleere.

Mein Körper ist nicht nur mein Körper.

Jeden Morgen fühle ich mich erst einmal fremd in meiner Haut. So als hätte ich die ganze Nacht durchgetanzt und einen Joint nach dem anderen geraucht. Meine Haut ist manchmal kalt und machmal warm, ich registriere es wie ein Anderer der einen Anderen berührt, zart und doch intensiv.
Ich fühle mich eine Weile und fühle mich irgendwann wohl.

Ein Blick in den Spiegel und ich frage mich: Bleibe ich heute den ganzen Tag, bin ich Jo oder kommt uns Sweppi besuchen. Während eine Katze mich mit fragenden Augen anblickt, blicke ich zurück genauso fragend. Manchmal schneide ich eine Grimasse, ein Zwinkern, ein Zungenraußstreck:
"Guten Morgen Jo, gut geschlafen".
Ein erneutes Zwinkern.

Ich klicke das Radio an und je nach Melodie reißt es  mich mit, oder ich klick ihn wieder aus.
Manchmal fühle ich Jo nahen, ein Lied von Irgendwem reißt sie aus mir heraus und dann tanzt das Bad und Jo´s Zahnpastagrinsen hüpft auf und ab und die Schmerzen sind für eine Weile Vergangenheit.
in mir.

So beginnt der Tag jeden Tag. Manchmal wenn es Wochenende ist und ich Shaya nicht wecken muss, bleibe ich im Bett liegen, dann nehme ich mir Zeit, bewege meine Zehen bis sie einrasten und sich leicht verkrampfen. Knete meine Hände bis ich denke sie sind die Hände meiner Großmutter, dann streiche ich darüber. Oh so sehe ich also aus, wenn ich alt bin.

Ich fühle wie in mir jemand laut und vernehmlich sagt: "DU bist alt!" Und ich antworte: "Klappe, wer redet denn mit dir!"




Es gibt Momente da will ich die Augen nicht öffnen, da fühle ich Gefühle einer 17 Jährigen die sich weigert in einem Körper aufzuwachen, der nicht ihr gehört. Den sie ablehnt, weil er Falten hat, da wo junge Haut sein sollte. Die sich irgendwann wütend mit alten Bildern in einer Zimmerecke im Inneren verkriecht, weil sie darin eintauchen will.
"Das bin ich!" hör ich sie dann wie aus weiter ferne.
Die Jo die sie sein will, ist in meiner Erinnerung vergraben. Die bin ich schon lange nicht mehr. Manchmal unterhalten wir uns im innen und ich sage ihr: "Das war eine Scheißzeit Süsse. DAS hier ist Realität, schluck es, oder verkriech dich und bleib in mir!" Und ich sehe sie trotzig wie sie sich mehrere Laken Kleidung um meinen Körper wickelt und ich höre manchmal Brittas Stimme: "Willst du das echt anziehen?" und Jo:
"Klar, ich finds cool"
Und wieder Britta deren Lachen das Zimmer erhellt: "Ok!"

Manchmal bin ich schon im Auto, dann schau ich an mir runter und sag:
"Ich muss noch mal hoch, ich hab etwas vergessen!" Und ich sehe wie Britta die Augenbrauen nach oben verzieht und den Mund leicht gräuselt und Shaya die genervt, "Ach Mami!" ruft.
Ich hetze die Treppen nach oben, hab fast einen Astmaanfall, dann reiße ich mir die Klamotten vom Leib und ziehe mich um. Jo hat manchmal einen furchtbaren Geschmack.

Wieder unten angekommen startet Britta schnell den Motor, ihr Blick sagt: "Alles klar jetzt!" Ich nicke.

Es gibt Tage da zwitsche ich zwischen Klamotten an und umziehen und das im Minutentakt, bis Brittas laut und vernehmlich sagt: "Jo ich hab da jetzt wirklich keinen Bock mehr drauf, komm mal jetzt in die Pötte!" Und Shaya die mit Händen in der Hüfte vor mir steht und mich mit diesem Runzelblick ansieht.
"Mami wir sind zu spät wegen dir!" und ich halte inne. Ich bin ihre Mami!, dann hat Jo verloren und zieht sich schmollend in mir zurück.

Manchmal da gewinnt sie und dann tollen Jo und Shaya durch den Garten, während Britta genervt richtung Auto marschiert: "Wenn ihr nicht gleich kommt, fahr ich alleine!"
"Deine Mama ist ne Nervensäge!" lacht Sweppi und Shaya gibt ihr Five.  Und beide lachen im Auto und strecken sich gegenseitig die Zunge rauß, während Britta grinst und den Kopf schüttelt: "Kinder!"
Und sie hat recht. Und irendwann greift Jo zum Radio, dreht es laut auf und singt dabei schiefe Lieder und Shaya singt schief mit und irgendwann sing auch Britta in das Motorengeräusch.

Dann gibt es Tage da schleppe ich mich von Zimmer zu Zimmer, greife zu meinen Rheumatabletten und ich fühle mich wie ausgekotzt. Wenn ich dann in den Spiegel sehe, erkenne ich mich. Ich sehe diese kleinen Falten um die Augen und die Labialfalte am Mund und ich kneife die Augen zusammen, weil mir meine Brille fehlt. Ich greife zu meiner Creme für über 40 Jährige und creme mein Gesicht ein, das seit Tagen keine richtige Pflege mehr bekam. Ich strecke mich in meinem Körper lang und genieße das Gefühl mal wieder angekommen zu sein in mir.
Diese Tage sind voller Schmerzen, oft wünsche ich mir ein Ersatzteillager für Gelenke und Sehnen und Knochen die aneinander reiben. Jo macht sich manchmal einen Spaß: "Kannst du das hören?" fragt sie Britta und dann bewegt sie ihr Knie vor und zurück und es knarrt wie eine alte Tür.
Sie lacht: "Hört sich komisch an" und Britta verzieht das Gesicht: "Hör auf damit, nachher hast du wieder schmerzen!" Und Jo grinst und hüpft durch die Wohnung wie eine 17 Jährige nur hüpfen kann.

Vor Jahren lag ich im Bett und sah die Zimmerdecke an. "Bin ich ein Hypochonder?" fragte ich einen Arzt. Er zeigte mir Aufnahmen meiner Wirbelsäule. "Nein das sind sie wahrlich nicht!"

Aber niemand versteht, warum ich manchmal wie eine 17 Jährige Tanzen kann, ohne Schmerzen und dann am nächsten Tag zusammen breche, weil sich nichts in mir bewegt, ohne Reißen und Ziehen, ohne Pochen und die Grenzen die mein Körper mir gibt, sind 10cm von recht nach links.

Oft wechsel ich meine Brillen, wie andere ihre Wäsche. Ich habe viele in meinem Nachtschränkchen liegen. Wenn ich Pech habe sitze ich im Auto und merke, das ich wieder einmal die falsche Brille aufhabe. Jo sieht anders als ich.
Es gibt Zeiten da bleiben die Brillen auf meinem Nachttisch liegen, Zeiten an denen Sweppi Brillenlos durch die Wohnung läuft. An diesen Zeiten bleibt das Auto in der Garage und dann macht sich Sweppi auf die Suche nach einem guten Buch. Manchmal sind es nur Minuten die vergehen.
Bis ich wieder da bin und leichte Panik schiebe, weil ich nichts sehe.

Und ich brülle in die Stille: "Scheiße meine Brille ist weg!" Und ich höre es aus der Küche: "Guck auf deinen Nachttisch!" und sie ist noch dort, wo ich sie eben noch hingelegt habe. Nur ist "eben noch" schon lange vorbei.

Johanna und
Die Schreiberin
Ende

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