Montag, 24. Februar 2014

Yen schreibt Trigger


Das Dunkle in uns  -  Yen

Es gibt Momente, da sind meine Erinnerungen wie Stacheldraht, der tief in meiner Haut sitzt und immer wieder neue Wunden reißt.
Es gab eine Zeit, da fühlte ich meine Haut nicht, da war mir der Stacheldraht willkommen. Ich bohrte mir die Spitze eines Bleistifts in den Arm, oder ich nahm den Deckel des Füllfederhalters und drehte ihn so lange in meine Haut bis der Abdruck blutete.
Es gab eine Zeit, da schnitt ich mit einer Rasierklinge kleine Streifen in meinen Oberarm und sah wie das Blut in kleinen Rinnsälen lief.
Es war die Zeit meines Blutes, das mir zeigte das ich noch lebe, das ich pulsiere, atme.
Ich habe diese zarten Narben gebraucht und auch noch heute, streiche ich zart darüber hinweg, mittlerweile sind sie verblast, nur ich weiß noch wo sie zu finden sind. In solchen Momenten bin ich da, fühle mich jetzt und genieße es.

Es war die Zeit da war mein Körper so alt wie ich heute noch bin, die Zeit in der ich mit pochenden Herzschlag auf meine Menstruation wartete. - Bitte komm!!! Ein Kind von ihm, das wäre der blanke Horror...
Ich hatte unglaublich viel Glück, später als Johanna mehr als ich im Außen war, war es die Traurigkeit die die Blutungen auslösten... Als sie erfuhr, dass sie nie ein eigenes Kind in den Armen halten wird, brach sie zusammen.
Mir erging es anders. Ich hätte Jubeln können, keiner wird sich in mir fortpflanzen, diese alte verdorbene Saat nicht weiter reichen. Der Gedanke, dass die Gene des Vaters in uns aussterben, trieb mir das Lachen tief aus meiner Kehle, während Johannas Schmerz sie in Verzweiflung warf. Natürlich starb er nicht aus, nur unsere Linie blieb rein... so empfinde ich es, wir haben es geschafft, das Grauen seiner Gene für uns zu behalten.

Ich weiß nicht wann ich auf diese Welt kam, doch es war kalt und die Decke um meinem Körper wärmte mich nicht, ich fühlte Blut an meinen Beinen entlang laufen und Blut in meinem Gesicht. Blut war das erste was ich fühlte und so merkwürdig es sich anhört, ich fand es berauschend und sinnlich. Es tropfte aus mir heraus und blidete eine Lache auf dem Bett, auf dem ich lag. Später habe ich das Laken gewechselt, mich frisch angezogen, ein Blick in den Spiegel lies mich erst einmal erschreckt zusammen zucken, das Mädchen das ich sah, das war nicht ich.
Sie hatte halblange rotbraune Haare und ihr fehlte ein Vorderzahn. Ihre Augen waren so unglaublich hell, dass ich sie schnell wieder schloss. Ich suchte mich im innen, Bilder die unser Geist schnell projezierte, so das ich mich fand, in dieser Dunkelheit. Mir war schon damals klar, das etwas nicht stimmt, aber ich wollte nicht darüber nachdenken.

Es gab eine Zeit da lebte ich meine Gefühle frei aus, ich nahm Geld für Sex von einem Mann den ich nicht liebte. Er war mit Johanna verheiratet und immer dann wenn ich kam, ging sie ins Innen. So wechselten wir uns ab stetig und leise. Mit einer Verwirrung im Außen, denn wenn ich kam, sah er uns mit anderen Augen, gierigen Augen.
An Tagen wie diesen wurde Johanna von Albträumen gequält und wenn der Tag kam, saß sie verloren am Küchentisch, das Messer in der Hand. Gedanken wie: "Lass mich endlich sterben!" waren keine Seltenheit.

Während sie tagsüber so tat als lebte sie in einer heilen Welt, kam das Grauen in der Nacht hervor, wie Nebelschwaden die sich durch die Ritzen der Türzargen zwängten. Ihre Albträume waren meine Realität.

Wenn man so oft Schmerz erlebt wie wir, wird der Schmerz zur Normalität. Sex gehört dazu. Das ist nichts was man einfach so beiseite stellen kann. Es ist Teil des Ganzen. Jo fühlte sich in all dieser Zeit wie in einem Paralelluniversum, sie war davon überzeugt ein Alien zu sein, sie war verwirrt und vergaß sich selbst und während sich Jo oft die Seele aus dem Leib kotzte, schmierte ich mir roten Lippenstift auf die Lippen, mit dem Geschmack ihres Erbrochenem  im Mund.

Ich hatte unsere Erinnerungen im Kopf gespeichert, ich spürte ihre Angst und doch fühlte ich nichts.
Ich spürte die Ängste alle in mir.
Ich fühlte sie nur sachte, wie leichtes Bauchkrummeln, manchmal hörte ich Gedanke die nicht meine waren und manchmal erwachte ich wie aus einem Traum. Ich die Starke, fühlte Schwäche in den Beinen. Und wenn ich mich im Spiegel sah, sah ich verschreckte Augen, mal waren es Jos, mal Johannas, mal Grids die mich da anstrarrten. Meine eigenen habe ich noch nie in einem Spiegel gesehen. Sie sind dunkelbraun, genau wie mein Haar.

Im innen sehe ich aus wie eine wilde Frau, Dunkel mit Schlitzaugen und blutroten Lippen. Heute weiß ich, das Johanna oft über ihre Lippen geschrubbt hat um den Lippenstift zu entfernen, den sie wiederlich fand. Ich weiß auch, das Jo mit anderen Farben versucht hat, das Rot zu übermalen.
Es war eine Wilde Zeit. - Meine Zeit!

Heute ist die Zeit der Träume, ich träume oft von damals, ich träume davon wie ein Reiter auf einem Pferd zu sitzen, in wilden Galop vereint. Ich träume davon eine Peitsche zu schwingen, mit Wut in den Augen und pochenden Blut. Ja ich gehöre zu den Dunklen, auch wenn ich viele Jahre versucht habe, das zu verändern. Die stillen Schreie in mir, haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Ich bin jetzt lieber im innen mit meinen Träumen, statt im Außen mit meiner Wut. Einem Mann könnte ich Weh tun, aber Johanna ist mit einer Frau zusammen. Frauen sind Wesen mit Herz. Würde ich ihr Schmerz bereiten, könnte ich auch gleich mein Herz aus meiner Brust reißen.

Ich hasse das was uns angetan wurde, aber mein Körper ist so sehr Teil davon, das ich es nicht ändern kann und nicht ändern will. Ich bin Teil davon geworden.
Teil der Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen, Teil der verkrampften Fäuste die festgehalten wurden, Teil des nach alkohol stinkenden Atems, Teil der Schreie und der Tränen und der dunklen Gedanken an Tod und Schmerz und Zorn. Wie oft habe ich nach einem Messer gegriffen und dann - die Zeit verging im Außen wie die glühende Kohle die zur Asche wurde - erwachte ich wieder in einem Bett voller Blut.

Als Johanna das erste Mal über Verzeihen nachdachte, lachte ich laut auf und hätte sie nicht meinen Körper, hätte ich meine Faust gegen die Wand geschlagen. Verzeihen niemals.
Ich weiß das der Vater lange tot ist, dass sein Leichnahm schon verwest ist. Es gibt Momente, da wünschte ich, ich hätte ihn noch einmal gesehen.
Einmal nur, hätte ich gern in sein Gesicht gesehen, ihm all meinen Hass und meine Wut entgegen geschleudert. Wie gerne hätte ich ihm all das was er uns über die vielen Jahre angetan hat, zurück gezahlt, jede einzelne Minute. Jede einzelne Narbe auf und in unserem Körper. Und wenn er dann am Boden gelegen hätte, hätte ich Fotos von ihm gemacht. Die Vorstellung das diese Bilder dann im Internet zu sehen sind, lässt mich lächeln. Ich hätte danach zugetreten, ihn zerstört wie ein Virus.

Die Schreiberin schreibt, das was ich fühle..

Ich habe nicht dieses Gewissen, diese Reinheit wie Johanna, die jetzt in diesem Moment, darüber nachdenkt, meine Gedanken und Gefühle wieder zu löschen, als würde es mich nicht geben. Die ihre Welt in  sanfte und weiche Laken hüllt und ihre Geheimnisse für sich behält.
Ich habe nicht das kindliche Herz von Jo, die jedes Lebewesen am liebsten in die Arme schließen möchte und die sich laut freut wenn andere Glücklich sind. Die jetzt still weinen würde, sprachlos über das was so offensichtlich sichtbar ist.
Ich bin Yensaya und in mir schlummert ein heißer rotglühender Vulkan.
Meine letzten Worte an ihn waren: "Ich hasse dich abgrundtief, ich wünschte ich könnte dich töten!"
Und ich hoffe er hat sich daran erinnert, bevor er starb.

Yen

Von der Schreiberin geschrieben
Die Schreiberin
Ende




Bild: Jo/Johanna/Yen während unserem ersten Kuraufenthalt, irgendwann um 1984/85, damals noch wegen Asthma in Sankt  Peter-Ording


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