Freitag, 14. Februar 2014

Stolpersteine





Das ist jetzt die zweite Nacht die ich nicht schlafen konnte, also werde ich versuchen sie sinnvoll einzusetzen und kreativ meine Gedanken runterschreiben.
Angefangen hat es bereits bei meiner Geburt. Das erste mal wurde ich mit 4 Jahren vergewaltigt. 

Ich denke schon lange darüber nach über etwas zu schreiben, das mich seit urlangen Zeiten belastet und beschäftigt und über das ich normalerweise mit kaum jemanden rede.
Es wissen nur ganz wenige Menschen - Auserwählte - um mein ganz persönliches Schicksal und eigentlich sollte es so bleiben.
Im Laufe meines Lebens haben mir jedoch Begegnungen gezeigt, dass die Dinge die tief im Herzen schlummern, doch irgendwann an die Oberfläche kommen, auch dann wenn man sich selbst immer wieder sagt: "Es ist gut so wie es ist!"

Eine solche Begegnung hatte ich letztes Jahr und der Mensch dahinter begleitet mich immer noch in einer tiefen Freundschaft. In solchen schlaflosen Situationen, die Stunden die sich wie Tage anfühlen, nimmt mein Problem eine imense Größe an. Es ist so als würde sich etwas das tief in mir schlummert an die Oberfläche bewegen um dort endlich Luft zu holen, sich niederzulassen, auf den Stolpersteinen die schon Ewigkeiten Teil von ihm sind.

Die Berechtigung das alles sein darf - die hat mein Inneres nicht. Der Buddhist im Außen, den ich seit vielen Jahren lebe, der ist im Inneren zum Schweigen verurteilt. Die kindliche Stimme die so gerne singen möchte hat schon lange das reden verlernt.
Spätestens jetzt müsste ich sagen, was los ist... aber lasst mir Zeit, das Ganze ist nicht einfach und das hier ist eine Revolution meiner Selbst.
Ich muss mich hindurch bewegen um irgendwann da anzukommen wo Offenheit kein Wort mehr ist zwischen irgendwelchen Sätzen, sondern Bestandteil einer wahrhaften Persönlichkeit.
Meiner Persönlichkeit - Unserer Persönlichkeit.

Wenn ich sage, es fing kurz nach meiner Geburt an, liest es sich, als würde ich jetzt einen Roman schreiben und irgendwie wird es das wohl auch, denn ich weiß nicht wann ich hier enden kann - vielleicht wird es ein Roman oder eben nur ein Tagebuch. Es geht hier nicht um ein Ziel, sondern um Freiheit jedes Einzelnen in mir.
Die Nacht ist nicht unendlich. Irgendwann beginnt der Tag und meine Familie erwacht und mit ihnen unsere Tiere, die schon viel früher ein Eigenleben besitzen, mal still, mal laut.
Dann beginnt auch für mich wieder der Altag und ich vergesse - das ich vergesse.

Ich wurde 17 Jahre meines Lebens missbraucht und misshandelt.
Ich werde heute hierzu keine Einzelheiten beschreiben - vielleicht später, wenn wir uns alle eingewöhnt haben, doch momentan geht es hier nicht um Gewalt, sondern um Integration eines jeden Einzelnen.
Die Gewalt spielt nur eine untergeordnete Rolle.  Das hat mich der Buddhismus gelehrt. Was einst war - ist Vergangenheit und keine Realität. Die Realität ist jetzt.

Ich bin froh, dass ich diese Worte so verinnerlicht habe. Nein ist es ist nicht diese Gewalt die mich heute beschäftigt, oder belastet. Es ist das Ergebnis - das was damals daraus resultiert ist.
Die Gewalt hat mich 17 Jahre meines Lebens begleitet und subtil noch weitere viele Jahre lief sie leise und im Gleichschritt neben mir - seit 16 Jahren erlebe ich sie nur noch bei anderen Menschen die mir begegnen und Tieren die ich betreue, ich selbst bin in Sicherheit.
Wenn ich manchmal über diese 17 Jahre nachdenke, kann es sein, das ich meine alten Narben berühre, meine Stirn oder meinen Oberschenkel, meinen Hals, meine Wirbelsäule - so hoch wie ich komme.  Oft fällt es mir noch nicht einmal auf. Es ist so als würde ich mich vergewissern, das meine Sinne noch klar sind. Es ist manchmal nicht einfach, dass was war mit realistischen Augen zu erblicken. Gefärbt ist es durch die Winzigkeit meiner eigenen Gestalt, die zwar älter wurde - aber auch wieder nicht. Ich war so klein, so zart und so zerbrechlich.

Als meine Tochter 4 Jahre alt wurde, gab es einen Moment, da stockte mir der Atem und ich dachte, ich müsste sterben. Ich sah sie an, ich fühlte ihren Puls als ich ihr über die Haare strich, ich hörte ihr Lachen. Und während dessen sah ich mich selbst im gleichen Alter. So gänzlich anders und verloren.
Dieser eine Moment veränderte mein Leben, ich begriff das es ein Wunder ist, dass ich nicht zerbrochen bin.
In diesem Moment konnte endlich das was all die Jahre im Verborgenen lebte nach außen treten und ich fühlte mich wieder wie ein 4 Jähriges Kind, während ich mich mit meiner Tochter im Kreis drehte und laute Lieder sang.

Gleichzeitig diskutierte mein Inneres mit meinem Inneren über Dinge die ich schnell wieder vergaß.

Mein Leben ist seit dem ich zurück denken kann - und ich kann weit zurück denken - davon geprägt, dass ich viel vergesse. Das waren die ersten Anzeichen. Ich vergaß meinen Namen, oder die Namen anderer Personen die mich viele Jahre begleiteten.
Ich vergaß wo ich war und wer ich war.
Es gab Momente da stieg ich in einen Bus ein mit einem Ziel vor Augen und ich stieg aus und wusste nicht wo ich mich befand, noch wusste ich wie ich dort hin gekommen war. Die Busfahrt und mein Ziel waren verschwunden.
Es gab Momente da erwachte ich in einem himmelblauen Kleid mit Blumen und vermisste meine Zebrahose und meine alte zerfledderte Lederjacke. Und wenn ich dann in den Spiegel sah erkannte ich mich kaum wieder.

Wenn mich Menschen fragten auf welcher Schule ich gewesen war, musste ich tief in meinem Kopf graben und hoffen das ich die Antwort erhalte die so wichtig war - für diese Situation, für diesen Moment. Und wenn mir Menschen begegneten die mich anscheinend kannten, die mich berührten auf eine eigentümliche Weise - musste ich meine Panik tief in mir begraben und ein Lächeln aufsetzen und so tun, als würde ich sie kennen, in der Hoffnung, dass in meinem Kopf der Name des Menschen erschien, der so fremd vor mir stand.

All die Jahre traute ich mir selbst nicht. Alles was ich wusste war meine Vergangenheit, aber meine Gegenwart war wie ein Puzzelspiel, je nach Laune setzten sich Einzelteile zusammen um dann wieder auseinander zu driften. Ich war mir nie sicher, ob ich das was ich mir in diesem Moment an Erlernten aufgebaut hatte, wirklich Bestand hatte. Und oft zeigte sich, dass das gelernte manchmal nur Sekunden vorhanden war um dann wieder für Tage oder Wochen zu verschwinden.

So verbrachte ich meine Schulzeit mit unendlichen Fehlzeiten. Lehrer die versuchten mit mir zu reden, scheiterten an meiner Wut und meinem Schauspieltalent. Ich hörte oft die Worte: "Du bist doch so inteligent, ich versteh das nicht!"
Was hätte ich sagen sollen?
Ein: "Lecken sie mich am Arsch"
Mag sich brüsk anhören, aber ich war entsetzt und ich hatte Angst, das man meine Seele erkannte in den Augen, die in dem Moment nicht meine waren. 
Manchmal stand ich vor dem Spiegel und versuchte mich zwischen den einzelnen Mimiken zu finden und manchmal hatte ich Glück, ich kam und ging. Und zurück blieb das Vergessen.

Mein übergeordnetes ich hatte dem Ganzen in mir Namen gegeben. Grid das vier Jährige Mädchen mit den goldblonden Haaren. Sweppi die 12 Jährige mit dem Siberblick und der Melancholie in der Stimme. Sweppi versuchte zweimal sich das Leben zu nehmen und scheiterte an mir, die ich leben wollte.
Da gab es Johanna,  die auf alles eine Antwort hatte, sie konnte komplexe Zusammenhänge erkennen, während ich versuchte das 1x1 zu lernen.
Da gab es Tom, der immer dann erschien, wenn meine Welt ins Wanken geriet und ich befürchtete zu zerbrechen.
Da gab es die Malerin die leidenschaftliche Bilder schuf und mit Kaugumi die ersten Kunstwerke an den mit Kot und Blut beschmierten Wänden unseres Kinderzimmer hinterlies und da gab es Rechts und Lings, die sich in ihren Diskussionen vertieften. Lings mit seinem ewigen Däfetismus und Rechts die beschwichtigend mit Johanna auf einer Stufe stand.

Während meine Welt erwachsen wurde, blieb ich 17 Jahre alt.
Ich bin Legasthenikerin und es gibt Momente da ist die Schreiberin nicht da, da strotzen meine literarischen Ergüsse nur vor Fehlern und vergessenen Worten. (- Ich werde hier nichts zensieren, weder die kindlichen Schreibselleien von Sweppy, noch die Wut und Hilflosigkeit von Lings und Jo.)
Ja es gibt auch die Schreiberin, die sich nur durch Schrift und Gedanken erkennbar machen kann.
Sie schreibt für mich und für viele andere. Ihre wahre Natur jedoch ist die Stille. In meinem Kopf sind ihre Lippen vernäht und ihre Augen haben die Farbe von schwarzer schwerer Holzkohle - sie und die Malerin sind autistische Persönlichkeiten die nur durch ihr Tun im Außen zu erkennen sind.

Ich bin nur eine von vielen in mir - das ist mein ganz persönliches Schicksal.
Ich bin eine Multiple Persönlichkeit und während ich / sie diese Worte schreiben, denke ich schon wieder darüber nach sie zu löschen.
Denn das hier ist eine absolute Sensation, der Vorhang geht auf und ich zeige mich das erste mal wirklich so wie ich wirklich bin.

Ich hätte nie gedacht, das wir alle soweit sind, es offen auszusprechen, ohne das Gefühl von Schuld oder Scham. Ohne das einer in uns schreit und um sich haut - voller Angst die Welt bricht zusammen. Oder für Schizophren gehalten zu werden.
Die einzige die gerade weint bin ich - ich bin Jo. Eigentlich fühlen wir uns alle wohl, aber - 

Ich bin 17 Jahre alt und meine Welt steht gerade Kopf, denn mein/ unser Körper sagt das er alt wird.
Während mein ICH noch so jung ist, ist Johanna in die Wechseljahre gekommen. Ich bin die einzige die ein wirklich großes Problem damit hat.
Die Wechseljahre oder auch die Menopause kam schleichernd und begleitet uns ruhig und gelassen schon seit einigen Jahren. Doch mit den Hitzewallungen und Stimmungstiefs die seit kurzem hinzu kamen, geschah etwas so unglaubliches in meinem Körper, dass mich von einer Seite zur anderen Seite schleuderte. Ich bin 17 Jahre alt und lebe gemeinsam mit vielen anderen in einem alten Körper.  Ein Körper der irgendwann sterben wird und in mir formt sich leise die Frage: "Was wird dann aus uns?"


Diese Frage beschäftigt uns so sehr, dass wir nicht mehr Schweigen können, denn jede einzelne in uns braucht eine Antwort auf seine eigenen Fragen. Es hilft uns nicht mehr, wenn Johanna sagt, das diese Veränderungen in unserem Körper zum Leben dazu gehören. Es hilft nicht mehr rational sich zu sagen, das es so was wie uns eigentlich nicht geben sollte.

Jo empfindet sich als Freak, ein Mädchen im Körper einer alternden Frau.
Lings als (momentan) einziger Mann, findet meine Brüste "zum Kotzen" und würde gerne eine Flasche Bier trinken und vor der Glotze sitzen, möglichst auf einer Insel, weit weg von Menschen.
Johanna ist die einzige die so leben kann, wie sie möchte, sie ist eine buddhistische Nonne und im Außen auch als eine solche Respektiert.
Wir sind alle unterschiedlich und würden wir uns durch Zufall begegnen, würden wir uns vielleicht noch nicht einmal mögen.
So aber teilen wir uns alle einen Körper und das hat uns im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einem Team heranwachsen lassen.
Nein es läuft nicht alles rund. Wir sind nicht eine Person, sondern eben viele.

Wir Streiten uns und wir versöhnen uns.
Eines jedoch steht übergeordnet an erster Stelle:
Nur gemeinsam konnten wir überleben, das hat uns zusammengeschweißt.


Und aus dem Grund fangen wir an diesen Blog zu schreiben.
Weil es uns eigentlich gut geht.... währe nicht das Wörtchen wenn...


Unser erster Eintrag ist geschafft.
Es geht weiter....


Einfügung Johanna:  irgendwie scheint sich die Zahl 17 in Jo manifestiert zu haben - das ist mir eben beim durchlesen des Textes schlagartig aufgefallen. Ich will das nicht weiter analysieren (zumindest jetzt noch nicht), aber ich möchte es im Hinterkopf behalten. 


Alles Liebe und Herzlich Willkommen auf meinem Blog
von uns allen
Schreiberin
Ende



Bild-Quelle:
Die Künstlerin Julia Rohwedder hat mir die Erlaubnis erteilt ihr Bild für diesen Blog zu nutzen.
©IdentityI Julia  Rohwedder

3 Kommentare:

  1. Es gibt Momente im Leben, da ist man glücklich wenn einem die Tränen die Wangen runter laufen. Das ist so ein Moment!

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  2. Euer Bericht hat mich zu Tränen gerührt,ich finde es sehr mutig von euch damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Ihr habt meinen Respekt! Bleibt weiterhin zufrieden!

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  3. Euer Bericht hat mich zu Tränen gerührt. Ich finde es sehr mutig von euch dies zu veröffentlichen. Ihr habt meinen Respekt. Bittet bleibt zufrieden!

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