Sonntag, 16. Februar 2014

Konsequenzen



Ich wachte heute morgen auf, und das erste das ich sah, war meine Tochter, die ihrer Lieblingsbeschäftigung (leider) nach ging und einen Trickfilm ansah und dann meine Frau die in meinem neuem Blog las.
Als nächstes griff ich zum Handy und hörte die Nachricht meiner Freundin ab. Und dann musste ich erst mal schlucken.
Wie geht es uns heute Morgen?
Diese Frage ist unglaublich schwer zu beantworten.
Britta sagte gestern Abend, bevor ich einen Link zu Facebook setzte:

"Schatz ich weiß das es bei dir um Aufarbeitung geht, das ist mir schon klar. Aber bitte entfern dich jetzt nicht von mir!"

Ich horchte in mich hinein und hörte die anderen, jeder einzelne liebt meine Familie, auf unterschiedliche Art und Weise. Für mich und Jo ist das unsere Welt, unser sicherer Anker.
Heute morgen wird mir bewusst, dass ich meine Familie und meine Freunde in mein Tun involviert habe. Sie hatten keine Chance einfach NEIN zu sagen, sie sitzen alle mit im Boot, die einen mehr die anderen weniger. Ich habe gestern noch schnell alle Familienmitglieder aus meinem Facebook Profil gelöscht, um sie zu schützen, das war das einzige was ich ich tun konnte, bevor Jo in ihrer Schnelligkeit auf Abschicken drückte.

Während meine Frau mein Outing eher Gelassen betrachtet:
"Das war schon immer so Jo, so arbeitest du die Dinge auf." (Es ist meine Art zu Heilen, den Dingen in mir einen Namen eine innere Bedeutung und somit eine Existenzberechtigung zu geben), weiß ich nicht ob meine Freunde mit dieser Offenheit über Facebook und Internet zurecht kommen.

Ich habe meine Probleme immer öffentlich gemacht, das ist meine Art mich im Leben zu integrieren, dass es das Medium Internet ist, macht vieles einfacher, ich muss mich nicht in eine Selbsthilfegruppe begeben und Jo diesem Gefühl von "Ich will diese Leute nicht um mich herum, ich kann da nix sagen: Lass mich doch einfach in Ruh" aussetzen.
Sondern so kann sie sich mitteilen, auf ihre Art. Ja in Gewisser Hinsicht habe ich eine Kontrollfunktion all die Jahre gehabt - die so langsam bröckelt.

Es hat zu bröckeln begonnen als meine liebste Freundin mich darauf ansprach, dass sie nicht verstehen würde, dass ich so Zwiespältig reagiere und das sie damit nicht zurecht kommt.
Das war der Anlass um ihr zu erklären, dass sie mit zwei Personen befreundet ist und die eine nicht immer wie die andere handelt und denkt.

Nachdem es erst einmal heraus war, dachte Jo: ok das war es jetzt mit der Freundschaft.
Aber das Gegenteil war der Fall, für meine Freundin war es ein AHA Erlebnis und mittlerweile kommen nach und nach die anderen Innies wie Aussies und outen sich bei ihr.
Meine Freundin gehört zu den Menschen die sich vorher, ganz unabhängig von mir, mit dem Thema MPS/DIS auseinander gesetzt hat, das hat unsere Beziehung mit Sicherheit vereinfacht. Hinzu kommt, dass sie letztendlich Jo sehr ähnlich ist, im Temperament und in der Art die Dinge auszudrücken. Für Jo ist sie wie eine große Schwester, auf die man sich verlassen kann, die da ist wenn man sie braucht. Meine beste Freundin ist 24 Jahre alt, somit viel älter als Jo. Sie ist eine Frau die man schwer in eine Schublade stecken kann, genau wie Jo.  Für mich ist sie wie eine Tochter und für unsere Tochter, wie eine ältere Schwester.

Für Jo ist es die erste Freundin überhaupt, denn bislang wurde sie oft wegen ihrer hitzigen und impulsiven Art von meinen früheren Freunden abgelehnt. "Du bist mir gerade zuviel!" hat sie öfter zu hören bekommen. Einige waren irritiert, wenn statt ich, plötzlich jemand auftauch, der so ganz anders ist. Einige lehnten sie offen ab. Nicht jeder hat verständnis dafür das eine äusserlich 48 Jährige Frau sich wie ein trotziger Teenager verhält.
Jo ist der Punk in unserer Gruppe, sie hasst jedes festgefahrene System.
Sie lehnt sich gegen jede Art von Dogmatismus auf. Jo in einer Selbsthilfegruppe ist wie eine Bombe auf dem Jahrmarkt.
Unsere Freundin hat bei uns gleich ganze Tore geöffnet, das erste Mal in ihrem Leben fühlt sich Jo außerhalb der Familie akzeptiert.

Bei Lings, ist das ganz anders, ihm war dieses ganze: "Frauending" zu viel. Er ist momentan der einzige Mann im Außen. Er ist zynisch und Däfetistisch. Von sich selbst sagt er:
"Ich bin hier der Big Boss, der hin und wieder auf den Tisch hauen muss, damit das Weibsvolk nicht durchdreht!"

Die meiste Zeit ist er mit dem was Jo tut nicht einverstanden. Wir wissen sein Alter nicht, aber vermutlich ist er älter als ich, was bedeutet er empfindet Dinge, wie Internet und Comunitys grenzwertig. Die Probleme junger Menschen versteht er oft nicht. Er interessiert sich für Camping und träumt von einem Campingwagen, einem Urlaub in aller Ruhe und (leider) auch vom Fischen. Er ist der Jenige der unsere Vegane Lebensart belächelt und nicht unbedingt ernst nimmt. Dennoch unternimmt er nichts dagegen. Fischen wäre für uns alle ein Ding der Unmöglichkeit.

Lings gehört zu den Beschützern, weil er die Dinge erst einmal abwägt, bevor er ihnen einen Raum gibt, in die zum Beispiel Jo blindlings hineintapen würde.
Er gehört zu unserem Sicherheitssystem, das heißt, wenn Lings absolut gegen etwas ist, schlägt er Alarm, Rechts und oft auch ich, sind dann mit ihm am Diskutieren, während die anderen (bis auf die Schreiberin und die Malerin) ausgeklingt werden. Im Außen bedeutet das Stillstand. Für unsere Mitmenschen ist diese Zeit des Stillstands irritierend, denn es bedeutet, das wir kaum noch erreichbar sind. Wir befinden uns alle im Innen und mein Körper ist auf Altagsfunktion umgestellt, er vergisst zu trinken, zu essen, geht erst auf Toilette wenn es sich nicht mehr verhindern lässt. Er antwortet nur sehr zögernd und speichert in dieser Zeit nichts ab. Er zieht sich zurück aus allem, was belastend sein könnte. Da ich aber im Außen auch weiterhin Altag leben muss, ist das für uns eine sehr anstrengende Zeit.

Jo erklärt es in ihren Worten: "Ich fühl mich auf Eis gelegt, abgeschoben in eine Stille. Alles Watte und mir geht es nicht schlecht, nicht gut. Nix dazwischen"
Die Zeit in unserem inneren läuft anders ab als die Zeit im Außen, wenn wir in diesem Zustand sind, können im Außen nur Minuten vergehen. Alles was während dieser Zeit passiert, läuft an uns vorbei. Es gibt momentan nur einen Menschen der uns aus diesem Zwischenstadium herausreißen kann und das ist unsere Tochter Shaya.

Wenn unsere inneren Gespräche beendet sind und wir zu einer Entscheidung gekommen sind, trete ich ins Außen und stelle erst einmal verwirrt fest, das sich alles verändert hat. Ich selbst komme mitlerweile mit diesem Stopp (wir nennen es Stoppzeichen) gut zurecht, Jo jedoch nicht. Für sie verändert sich die Welt und sie hat das Gefühl vieles nicht mit bekommen zu haben. Sie reagiert manchmal total überfordert auf diese Situation und sehr emotional.

Jo weigert sich zum Beispiel Dinge zu tun, von denen sie vorher  nicht wusste, dass sie sie tun sollte oder ich zum Beispiel es tun wollte.
Was zu regelmässigen Diskussionen im Außen führt:

"Jo du hast gesagt du rufst an!"
"ich mach das jetzt nicht!"
"Du hast es mir versprochen!"
"Hab ich nicht, lass mich jetzt in Ruhe, frag mich später noch  mal!"

Wenn unser Außen Glück hat, zwitsche ich in den Moment und erledige alles weitere, wenn nicht, dann bleibt es erst mal liegen. So kann es vorkommen, das wir wichtige Termine verpassen oder Geburtstage oder manchmal auch Verabredungen usw.
Für Jo ist das alles kein großes  Problem, sie zuckt höchstens die Schultern und grinst. Und wenn es wirklich zu einer Auseinandersetzung im Außen kommt, zieht sie sich verletzt und überfordert ins Innere zurück und ich kann dann die Situation glätten und Kompromisse finden, um wieder eine Harmonie herzustellen.

Harmonie ist uns letztendlich allen wichtig und Jo ganz besonders. Sie kann nur oft nicht aus ihrer Haut. Es wäre so einfach wenn sie um einen Moment Geduld bittet, oder das man warten soll, bis ich wieder da bin, aber das schafft sie noch nicht, lieber nimmt sie einen Streit in Kauf.

Mittlerweile weiß ich, dass unsere beste Freundin zu uns steht. Ein einfacher Satz der Jo zum Lachen bringt und mich erleichternd ausatmen lässt:

"Hier geht es nicht um mich, sondern um euch!"

DANKE das du das verstehst!

Das hier wird unser Leben verändern, unser aller Leben und ich hoffe sehr, dass unsere Tochter wegen diesem Schritt  keine negativen Erfahrungen machen muss.

Alles Liebe Eure Johanna







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